Über­blick: Was ist über­haupt Gentrifizierung?

Für die Beletage mit Stuck auf dem Plafon drückst du schnell ab deinen ganzen Lohn.” Unbe­kannt

In den Groß­städten der Welt geis­tert seit Jahr­zehnten der Begriff Gentri­fi­ca­tion (deutsch = Gentrif­zie­rung) durch die Innen­städte. Immer wieder schwirrt das Wort durch die Medien und kaum jemand in der breiten Öffent­lich­keit weiß wirk­lich was mit dem Begriff gemeint ist. Auch die wissen­schaft­li­chen Defi­ni­tionen vari­ieren zum Teil sehr stark. Zeit also einen Einblick in das Thema zu geben.

 

Defi­ni­ti­ons­sache

Eine der ausführ­lichsten Begriffs­be­stim­mungen von Gentri­fi­zie­rung stammt von Chris Hamnett aus dem Jahr 1984. Die wich­tigsten Aspekte darin sind folgende:

  • Zuzug von Personen der Mittel — oder Ober­schicht in ein eher von Gering­ver­die­nern bewohntes Stadtviertel
  • Aufwer­tung der Gebäude
  • Anstieg der Miet — und Grundstückspreise
  • Verdrän­gung der ursprüng­li­chen Bewohner

Die voll­stän­dige engli­sche Defi­ni­tion von Hamnett lautet:

Gentri­fi­ca­tion commonly involves the inva­sion of middle-class or higher-income groups of previously working-class neigh­bor­hoods or multi occu­pied ´twilight areas´ and the repla­ce­ment or displa­ce­ment of many of the original occup­ants. It involves the physical reno­va­tion or reha­bi­li­ta­tion of what was frequently a highly dete­rio­rated housing stock and its upgrading to meet the requi­re­ments of its new owners. In the process, housing in the areas affected, both reno­vated and unre­no­vated, under­goes a signi­fi­cant price appre­cia­tion. Such a process of neigh­bor­hood tran­si­tion involves a degree of tenure trans­for­ma­tion from renting to owning.” Chris Hamnett, 1984

Der Voll­stän­dig­keit halber muss man noch zwei weitere Aspekte ergänzen:

  • Gentri­fi­ca­tion tritt in innen­stadt­nahen Stadt­vier­teln auf
  • Bei den aufge­wer­teten Gebäuden handelt es sich um attrak­tive Altbauten

 

Inter­na­tio­nale Unterschiede

Je nach landes­ty­pi­scher Baukultur unter­scheidet sich die Art der Altbauten selbst­ver­ständ­lich. In Deutsch­land sind beson­ders Gebäude aus der Grün­der­zeit attraktiv. Neben der Art der Gebäude wirken auch das Image und der Charme eines Stadt­vier­tels anzie­hend auf soge­nannte Gentri­fier. Beliebt sind beispiels­weise Studenten- und Künstlerviertel.

Aufge­wer­tetes Grün­der­zeit-Gebäude in Berlin

 

Gentri­fi­ca­tion als Prozess

Gentri­fi­ca­tion passiert nicht einfach über Nacht. Es ist ein Prozess. Nach über­ein­stim­mender Forscher­mei­nung läuft Gentri­fi­ca­tion in mehreren Phasen ab. Um den Bewoh­ner­aus­tausch zu verbild­li­chen wurde das Modell des soge­nannten doppelten Inva­sions-Sukzes­sions-Zyklus entwi­ckelt. Bevor Du jetzt frus­trierst aufhörst zu lesen: Ja der Name klingt kompli­ziert, aber das Modell ist recht einfach zu verstehen. Keine Sorge! Zum besseren Verständnis habe ich das Modell unten als Bild eingebaut.

Zunächst ist es wichtig zu verstehen, was mit den Begriffen “Pioniere”, “Gentri­fier” und “Andere” gemeint ist.

 

Welche Menschen sind bei diesem Prozess beteiligt?

Pioniere: Zu Pionieren zählen Studenten und Künstler. Sie sind jung und bilden sich aber haben eher ein geringes Einkommen. Sie werden als Pioniere bezeichnet, da sie als erstes in herun­ter­ge­kom­mende Stadt­teile ziehen, weil sie dort güns­tigen Wohn­raum finden.

Gentri­fier: Dazu zählen Personen der Mittel — und Ober­schicht. Viel­leicht hast du schon mal den Begriff “Yuppie” gehört. Damit sind “Young Urban Profes­sio­nals” gemeint — Also junge, gebil­dete Singles oder Paare die ein tenden­ziell hohes Einkommen haben.

Andere: Zu den Anderen gehören Ältere, Arbeiter und Ausländer

 

Wie läuft der Prozess ab?

Doppelter Inva­sions-Sukzes­sions-Zyklus  Quelle: Dang­schat 1988, S. 281

 

Phase 1: Pioniere beginnen in ein von unteren sozialen Schichten und Anderen bewohntes Gebiet zu ziehen. Einige der ursprüng­li­chen Bewohner fangen deswegen langsam an aus ihrem Wohn­ge­biet auszuziehen.

Phase 2: Die Verdrän­gung durch die Pioniere ist so groß, dass diese nun die größte Bevöl­ke­rungs­gruppe darstellen. Das Viertel wird nun immer attrak­tiver und auch die Mieten steigen.

Phase 3: Wegen der stei­genden Attrak­ti­vität ziehen nun auch Gentri­fier in das Wohn­ge­biet. Der Anteil der ursprüng­li­chen Bewohner sinkt weiter und der Anteil der Pioniere erreicht seinen Höhepunkt.

Phase 4: Mitt­ler­weile siedeln so viele Gentri­fier in das Gebiet über, dass der Anteil der Pioniere wieder abnimmt.

Phase 5: Die letzte Phase charak­te­ri­siert sich dadurch, dass die Gentri­fier nun die größte Bevöl­ke­rungs­gruppe darstellen. Der Anteil der Pioniere geht auf etwa 30 %  zurück und die ursprüng­li­chen Bevöl­ke­rungs­gruppen sind fast komplett aus dem Stadt­viertel verdrängt worden.

 

Verdrän­gung als Folge

Die Verdrän­gung der ursprüng­li­chen Bevöl­ke­rung muss als die gravie­rendste Folge von Gentri­fi­zie­rung ange­sehen werden. Für die Betrof­fenen bedeutet das einen enormen psycho­lo­gi­schen Druck. Das Problem ist aber, dass man das Ausmaß der Verdrän­gung kaum messen kann. Wenn jemand aus seinem Stadt­viertel wegzieht dann spie­gelt sich das zwar in der Bevöl­ke­rungs­sta­tistik wieder, aber der Grund für den Umzug ist in der Statistik nicht ersicht­lich. Man kann als Forscher ledig­lich versu­chen umge­zo­gene Personen zu kontak­tieren und mit ihnen Inter­views zu führen, aber das ist ein recht schwie­riges Unterfangen.

Letzt­end­lich wird der Verdrän­gungs­druck erst bild­lich sichtbar, wenn sich öffent­lich Wider­stand äußert. Neben Graf­fitis und Haus­be­set­zungen sind leider auch gewalt­same Hand­lungen wie das Einwerfen von Fens­ter­scheiben zu beob­achten. In der Regel ziehen aber die Gentri­fi­zie­rungs­gegner gegen­über der Markt­macht den kürzeren.

Einen tollen Über­blick über die Thematik gibt übri­gens auch folgendes Inter­view aus Berlin.

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Verwen­dete Literatur

Alisch, M & J. S. Dang­schat (1996): Die Akteure der Gentri­fi­zie­rung und ihre „Karrieren”. In: Fried­richs, J. & R. Kecskes (1996): Gentri­fi­ca­tion: Theorie und Forschungs­er­geb­nisse. – 95–132. Leske + Bude­rich. – Opladen.

Blasius. J. & H. Rohlinger (1991): Gentri­fi­ca­tion und Lebens­stile: eine empi­ri­sche Unter­su­chung in einem Kölner Stadt­teil. – Hamburg.

Dang­schat, J. (1988): Gentri­fi­ca­tion: Der Wandel innen­stadt­naher Wohn­viertel. – In: Fried­richs, J. (Hrsg.): Sozio­lo­gi­sche Stadt­for­schung. Kölner Zeit­schrift für Sozio­logie und Sozi­al­psy­cho­logie, Sonder­heft 29/1988. – 272–292. West­deut­scher Verlag. – Opladen.

 

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