Die letzten Jahre waren in der westlichen Welt vor allem durch die Flüchtlingsthematik und die dadurch steigenden Ängste in Teilen der Bevölkerung geprägt. Angst an sich ist ja ein Gefühl, das der Körper aussendet um einer drohenden Gefahr aus dem Weg zu gehen. Interessant dabei ist, ob die Angst begründet ist oder nicht. In Deutschland braucht man beispielsweise keine Angst vor Spinnen zu haben, da die hier vorkommenden Achtbeiner für den Menschen keine Gefahr darstellen. Trotzdem leiden viele Menschen unter einer Spinnenphobie. Es gibt keine Notwendigkeit Angst zu haben aber die Angst ist trotzdem da.
Ähnlich zur Spinnenphobie verhält es sich mit der Angst vor Ausländern. Die Angst vor dem Fremden wird in der Fachsprache auch Xenophobie genannt wird. Sie ist ein Relikt aus Zeiten in denen das Überleben des Stammes davon abhing inwieweit man sich von anderen, fremden Stämmen abgrenzte. In unserer zivilisierten Welt ist diese Angst nicht mehr notwendig, aber trotzdem ist sie ernst zu nehmen und nicht zu unterdrücken. Politische Manöver, diese Angst der Menschen für den Wahlkampf zu benutzen (wie es beispielsweise die Afd macht) sind allerdings perfide und zu verurteilen.
“Überlieferte Urängste entstehen in einem primitiven Teil des Gehirns, der keinen Hochschulabschluss hat.” Borwin Bandelow, Angstforscher
Von Borwin Bandelow, Angstforscher an der Uni Göttingen, können wir lernen, dass der Bestandteil des Gehirns, der die unbegründeten Angst-Signale aussendet bei sämtlichen Menschen vorhanden ist — egal ob jemand dumm oder schlau ist. Das erklärt auch, warum sich selbst intelligente Menschen von der Panikmache der rechten Parteien ködern lassen. Wenn die Xenophobie bei jemandem sehr stark wird kann Fremdenhass entstehen. (vgl. Interview von Borwin Bandelow mit ntv)
Die letzten, von Migration geprägten Jahre werfen die Frage auf: Führt mehr Migration zu mehr Angst in der Bevölkerung?
Dazu gibt es zwei Theorien. Beide Theorien stehen gegensätzlich zueinander.
1) Contact Theory
Besagt, dass zwei miteinander in Konflikt stehende Gruppen ihre Vorurteile und Bedenken abbauen, wenn sie miteinander in Kontakt kommen
Ausgedachtes Beispiel: Ein Neonazi unterhält sich mit einem Flüchtling beim Nachbarschaftsfest. Er merkt, dass der Flüchtling genau so ein Mensch wie jeder andere auch ist: Jemand mit Wünschen, Bedürfnissen, Sorgen, Ängsten, Zielen und Träumen. Und eben kein blutrünstiger, Heimat wegnehmender Eindringling.
Im Übrigen legen auch viele Spinnenphobiker ihre Angst vor Spinnen ab, wenn sie sich gezielt mit den Tierchen konfrontieren. Denn dabei fassen sie das Vertrauen, dass die Tiere eben nicht beißen und auch nicht mit unkontrollierbar schnellen Bewegungen in die Unterhose oder sonst wo hin krabbeln.
2) Threat Theory
Besagt, dass Menschen ihre Vorurteile gegen andere Gruppen erhöhen, wenn sie sich bedroht fühlen. Das führt zu Rückzug und zu schwindendem Vertrauen
Ausgedachtes Beispiel: Jemand hat Angst, dass ihm die Flüchtlinge seinen Job wegnehmen, obwohl es dafür keinerlei Gründe und in der Tat auch keine Beweise gibt. Sobald dieser Jemand in direkten Kontakt mit Flüchtlingen kommt verschärft sich seine Angst (obwohl sie unbegründet ist)
Auf der Suche nach der Wahrheit
Welche Theorie liegt nun näher an der Wahrheit? Um zu überprüfen welche der beiden Theorien nun auf die Angst der westlichen Welt gegenüber Migranten tatsächlich zutrifft haben die amerikanischen Wissenschaftler Eric Kaufmann und Matthew J. Goodwin kürzlich eine aufwändige Studie erarbeitet. Darin verglichen sie 171 Studien, die seit 1995 zum Thema kultureller Vielfalt publiziert wurden. Mehr als 4 Millionen Daten wurden dabei ausgewertet.
Neue Erkenntnisse
Die Auswertung der Studie ergab: In vielen der 171 untersuchten Studien wurde bei steigender Migration ein Anstieg der Angst ermittelt. Allerdings identifizierten Kaufmann und Goodwin einen Faktor, der Unterschiede bewirkte: Die Bevölkerungsgröße.
“Wir haben Hinweise sowohl für die Threat- als auch für die Contact Theory gefunden, wobei jede auf einer anderen geographischen Ebene agiert.” — Eric Kaufmann & Matthew J. Goodwin
- Wenn in großen verstädterten Gebieten (50.000 bis 500.000 Einwohner) die kulturelle Vielfalt stieg wuchs daraufhin der Widerstand der Menschen (mit heller Hautfarbe) gegen die Migranten. Gleichzeitig wandten sich die Bewohner stärker rechten Parteien zu. Hier trifft also eher die Threat Theory zu. Das heißt: Bewohner erhöhen ihre Ängste und Vorurteile gegenüber zuziehenden Migranten und das Vertrauen sinkt.
- Wenn hingegen in relativ kleinen Gemeinden (5.000 bis 10.000 Einwohner) die kulturelle Vielfalt wuchs, verringerte sich die Angst der Bewohner (mit heller Hautfarbe) vor den Migranten. Hier trifft also eher die Contact Theory zu. Das heißt: Bewohner und zuziehende Migranten bauen Ängste und Vorurteile ab, weil sie miteinander in Kontakt kommen.
Segregation verhindert Integration
Einiges spricht also für die Threat Theory, allerdings trifft dies speziell nicht in relativ kleinen Orten (5.000 bis 10.000 Einwohner) zu. Die Forscher betonen, dass weitere Forschung in der Richtung nötig ist. Zu der Erklärung der Ergebnisse sagen sie: Es wird angenommen, dass vor allem in großen Gemeinden die Kontaktaufnahme zwischen ursprünglichen Bewohnern und Migranten erschwert ist, weil die Gruppen von einander entfernt leben und unter sich bleiben. Durch diese Segregation finden kaum Treffen statt, bei denen Angst und Vorurteile abgebaut werden könnten. In relativ kleinen Gemeinden hingegen ist die Wohnstruktur gemischter und das Kennenlernen fällt leichter. Die beiden Gruppen vermischen sich und lernen, dass sie keine Angst voreinander haben brauchen.
Ob die Erkenntnisse auch auf Deutschland angewendet werden können ist fraglich. Dass in kleinen Gemeinden Bevölkerungsgruppen weniger segregiert leben als in Großstädten trifft jedenfalls auch auf Deutschland zu. Man könnte also ähnliche Ergebnisse erwarten. Da es aber (soweit ich weiß) keine vergleichbare deutsche Studie gibt kann nicht mit Sicherheit gesagt werden, ob die Ergebnisse auch auf Deutschland zutreffen.
Inwieweit die Unterschiede des Einzelnen (zum Beispiel Persönlichkeitseigenschaften) eine Rolle spielen wurde leider nicht untersucht. Persönlichkeit lässt sich beispielsweise mit dem Big Five Modell erklären. Dabei wären vor allem die beiden Aspekte “Offenheit für Erfahrungen” & “Neurotizismus” (= geringe emotionale Stabilität) und deren geographischen Unterschiede im Hinblick auf die Angst vor fremden Kulturen und Menschen interessant.
Wie ist es in deiner Nachbarschaft? Haben die Menschen Angst vor kultureller Vielfalt? Wie gut ist der Kontakt zu Migranten?
Quellen:
Grewal, D. (2018): Rising ethnic diversity increases whites’ fears <https://www.scientificamerican.com/article/rising-ethnic-diversity-increases-whites-fears/> (Zugriff: 26.10.2018)
Kaufmann, E. & M.J. Goodwin (2018): The diversity wave: A meta-analysis of the native-born white response to ethnic diversity. <https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0049089X17305902?via%3Dihub> (Zugriff: 26.10.2018)
Sierpinski, D. (2016): Die Flüchtlinge, die Angst, der Hass. Wieso wir Angst vor dem Fremden haben. <https://www.n‑tv.de/wissen/Wieso-wir-Angst-vor-dem-Fremden-haben-article16714156.html> (Zugriff: 26.10.2018)
Stangl, W. (2018): Stichwort: ‘Xenophobie’. Online Lexikon für Psychologie und Pädagogik. <http://lexikon.stangl.eu/1771/xenophobie/> (Zugriff: 26.10.2018)