Ein Intro­ver­tierter in einer extro­ver­tierten Welt — Film­tipp: Avicii — True Stories

I am pretty good at [small­talk] but I don’t enjoy it at all.”Tim Berg­ling aka Avicii.

Nach der trau­rigen Nach­richt über den plötz­li­chen Tod des schwe­di­schen DJs Avicii habe ich mir seine Doku­men­ta­tion “True Stories” ange­sehen. Und die kann ich sehr empfehlen — selbst wenn man nicht auf elek­tro­ni­sche Musik steht.

Avicii, der mit bürger­li­chem Namen Tim Berg­ling hieß, wuchs in der schwe­di­schen Haupt­stadt Stock­holm auf. Seine Kind­heit war sehr geordnet und entspannt.

My whole child­hood up to I was like 19 years old was between five blocks. All my schools where I went to were all in the same area of Stockholm.”

Die Anfänge

Als ihm eines Tages ein Freund eine Soft­ware zeigte, mit der man elek­tro­ni­sche Musik produ­zieren konnte war er sofort Feuer und Flamme. Das nächste halbe Jahr eignete er sich zusammen mit seinen Freunden die wich­tigsten Funk­tionen des Programms an und wurde schnell immer besser. Die Jungs inspi­rierten sich gegen­seitig und pushten sich nach oben. In ihrer eigenen kleinen Welt (dem Schlaf­zimmer von Tim) tüftelten sie an ihrem ganz persön­li­chen Style.

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Vom beschau­li­chen Schweden in die Verei­nigten Staaten

Spätes­tens nachdem Avicii seinen Hit Levels veröf­fent­licht hatte wurde er inter­na­tional bekannt. Naiv aber glück­lich stürzte er sich in die Welt des Show­busi­ness. Sein Manage­ment plante mit ihm den Weg an die Welt­spitze. Avicii ließ das ohne Zweifel mit sich geschehen. Beson­ders unglück­lich wirkt im Nach­hinein eine Aussage des Mana­gers Arash Pour­nouri im Film, als er fast schon stolz meinte, dass Avicii die Inter­views und den Medi­en­rummel nicht über­leben werde.

Noch ahnte Tim Berg­ling nichts von den Problemen die sich mit dem Hype um ihn ergeben würden. Er verließ Schweden in Rich­tung USA. Am Anfang genoss er den Ruhm und sein neues Leben. Er war glück­lich in seiner neuen Welt. Gene­rell scheint Avicii es leicht gefallen zu sein, sein persön­li­ches Umfeld auszuwählen.

I think I am a pretty good judge of character in general and try to surround myself with the best people I can.”

Nur wie es bei ihm im inneren aussah und wo er in seinem Leben hinwollte hat er anschei­nend zu spät analy­siert. Nach etli­chen Auftritten auf der ganzen Welt trat schließ­lich Ernüch­te­rung ein. Das stän­dige Touren, Reisen, Alko­hol­trinken und der Medi­en­rummel machten ihn krank. Über all das sprach Avicii ganz offen in seiner Doku­men­ta­tion True Stories. Hier ist der Trailer dazu.

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Erkenne dich selbst

Im Film lässt Avicii durch­bli­cken, dass er sich wundere, wie die anderen DJs das Tour­leben anschei­nend ohne Probleme wegsteckten. Seine Lösung: Bei seinen Auftritten versuchte er den Stress und die Anspan­nung mit Alkohol zu betäuben. Nach­hal­tige Antworten fand er aber erst, als er seinen Blick nach innen richtete.

Im Film gibt es eine Szene, in der Tim Berg­ling einem Freund erzählt, dass er ein Buch von Carl Jung, dem berühmten Schweizer Psycho­ana­ly­tiker gelesen habe. Dabei wurde ihm klar, dass er intro­ver­tiert sei und dass er deswegen zum Beispiel keinen Small­talk möge.

I have always felt indeed being an intro­vert is inferior.”

Zu Erkennen, dass es völlig normal ist intro­ver­tiert zu sein war für ihn ein entschei­dender Durch­bruch. Ihm wurde deut­lich, dass er als Intro­ver­tierter mit seinem extro­ver­tierten Lebens­stil jahre­lang gegen seine Natur gelebt hatte. Nach Jahren voller Stress und Anspan­nung wurde ihm endlich klar, dass nicht die Bühne, sondern das Studio seine ideale Umge­bung war. Dort konnte er in Ruhe seine Krea­ti­vität ausleben, ohne über­mäßig im Schein­wer­fer­licht zu stehen.

Er trennte sich auch von seinem Manage­ment und fühlte sich endlich wieder frei. Das stän­dige Zentrum der Aufmerk­sam­keit zu sein war am Anfang seiner Karriere verlo­ckend gewesen, aber letzt­end­lich musste er sich einge­stehen, dass er einen ruhigen Ort brauchte, so wie damals in seinem Schlaf­zimmer in Stock­holm. Dort war er mit seinen Freunden glück­lich gewesen. Seine Liebe und Sehn­sucht zu Stock­holm hatte er jeden­falls nie verloren. Diese Emotionen hat er zum Beispiel eindrucks­voll in seinem Lied Some­where in Stock­holm verarbeitet.

Stock­holm: Tim Berg­lings Happy Place

Im Laufe seiner schwie­rigen Jahre sehnte sich Avicii immer wieder an die glück­liche Zeit in Stock­holm zurück — an die Zeit in der er mit seinen Freunden als “Bedroom-Producer” seiner Krea­ti­vität freien Lauf ließ. Nicht nur Avicii war aus diesem krea­tiven Mini-Milieu als Super­star hervor gegangen. Auch Otto Knows, Jugend­freund von Avicii, wurde ein inter­na­tional bekannter Artist. 2016 hatten die beiden auch gemeinsam einen Song über ihre Heimat­stadt Stock­holm produ­ziert — die Stadt in der Aviciis steile Karriere begann.

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Tim Berg­ling schien wieder auf dem rich­tigen Weg zu sein. Trotzdem hat seine Geschichte eine tragi­sche Wende genommen. Am 20.04.2018 wurde er tot in einem Hotel in Oman gefunden. Der hoch­ta­len­tierte Schwede wurde nur 28 Jahre alt. Aller­dings wurde über die Todes­ur­sache nichts bekannt. (Ein Verbre­chen konnte ausge­schlossen werden). Mögli­cher­weise hat die Zeit in der er gegen seine Natur gelebt hat mehr Schaden bei ihm verur­sacht als bekannt war.

Update: Mitt­ler­weile hat die Familie bekannt gegeben, dass Tim Berg­ling Selbst­mord begangen hat.

In einer Welt, in der wir immer mehr mit Außen­reizen, Inter­essen, Vergleichs­mög­lich­keiten, Wahl­mög­lich­keiten und angeb­li­chen Verlo­ckungen bombar­diert werden wird es jeden­falls immer wich­tiger den Blick nach innen zu richten und sich ein Umfeld zu erschaffen, in dem wir wirk­lich authen­tisch Wir selbst sein können — Ob in der Bezie­hung, in der Familie, in der Schule, auf der Arbeit, als Amateur oder als Profi. Dann können wir auch unser Poten­tial entfalten, ohne uns oder andere zu Grunde zu richten. Denn mit 28 Jahren sollte niemand diese Welt verlassen müssen.

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