“Es erscheint immer unmöglich, bis es vollbracht ist.” — Nelson Mandela.
Während meiner Australienreise hielt ich mich Ende Juni im tropischen Cairns auf. Da sich meine Geldreserven dem Ende zuneigten musste ich sehr bald wieder einen Job finden. Wie in den Monaten zuvor sah ich meine besten Chancen im Baugewerbe.
Mir wurde aber schnell klar, dass ich zum arbeiten in kältere Gefilde fliegen musste. Das Klima in Cairns war einfach zu heiß, um auf einer Baustelle zu arbeiten. Außerdem ist Cairns eine vergleichsweise kleine Stadt mit viel Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt. Mir wurde bewusst: Ich muss in eine Großstadt.
Das bedeutete: Flug buchen, Airportshuttle organisieren, meine 7 Sachen packen, Jobsuche-Anzeigen schalten und eine neue Stadt plus neue Unterkunft finden. Außerdem musste ich mich noch daran gewöhnen nun ganz allein weiter zu reisen. Denn mein Bruder der mit mir zusammen das letzte halbe Jahr verbracht hatte war auf dem Weg zurück nach Deutschland. Es kam also viel auf mich zu!
Ein letzter Versuch
Zugegeben versuchte ich noch in Cairns einen Job zu finden. Doch ich merkte schnell, dass es wenig Sinn machte sich an die Stadt zu klammern und zu hoffen. Die Aussichten waren alles andere als rosig. No options! Es gab keine andere Möglichkeit als Cairns zu verlassen.
Los geht’s
Eine Frage drängte sich auf: Welche Stadt sollte ich ansteuern? Einfach in die nächstbeste Stadt ziehen und dort mein Glück versuchen? Oder den billigsten Flug wählen? Nein, das klang mir zu simpel und undurchdacht. Ich entschloss mich auf meine Erfahrungen und mein Bauchgefühl zu verlassen.
Ich war bereit für eine Herausforderung.
Welche Stadt soll ich ansteuern?
Erste Herausforderung
Meine erste Aufgabe war, mich für eine neue Stadt zu entscheiden. Ich begann also mit meinen Überlegungen. Brisbane, Sydney und Melbourne hatte ich bereits gesehen. Ich wollte mehr von Australien sehen! Ich gönnte mir den Luxus eine neue Stadt anzusteuern. Von den großen Städten Australiens blieben noch Perth (ca 5 Flugstunden von Cairns entfernt) und Adelaide (ca 3 Flugstunden von Cairns entfernt) übrig. Keine leichte Entscheidung!
Meine Wahl fiel auf Adelaide. Warum? Die Millionenstadt belegt in der Studie der weltweit lebenswertesten Städte Platz 5 (Stand 2016). Außerdem versprach das Klimadiagramm ein etwas milderes Klima als Perth. Soweit die Logik. Der Rest der Entscheidung war schlichtweg Bauchgefühl. Es fühlte sich richtig an. Das entspricht meiner Persönlichkeit.
Übrigens: In der aktuellen 2017-Studie der lebenswertesten Städte der Welt belegt Perth den siebten Platz. Adelaide ist wieder auf Platz 5 gelandet.
Nun ist Adelaide aber eine große Stadt mit über einer Million Einwohnern. In welchem Teil der Stadt sollte meine neue Unterkunft sein? Welche Unterkunft war in einer für mich geeigneten Umgebung? Sollte ich einfach das nächstbeste, günstigste Hostel auswählen? Nein. Denn ich wusste folgendes. Es gilt: “You get what you pay for”. Ein Hostel sollte es aber schon sein. Schließlich war ich als Backpacker unterwegs. Aber bitte nicht das billigste und schäbigste der Stadt.
Zweite Herausforderung
Meine zweite Aufgabe bestand also darin innerhalb von Adelaide den für mich besten Wohnort zu finden. Und ab hier musste ich mich mit mir selbst beschäftigen. Mit meinen Bedürfnissen und Wünschen — und mit meiner Persönlichkeit, meinen Stärken und meinen Schwächen. Kein Reiseführer der Welt, kein Local, kein Immobilienmakler und keine Online-Hostelbewertung konnte mir diese Aufgabe abnehmen.
Das Bedürfnis nach Trinken
Ich begann mit den Grundbedürfnissen. Klar, Wasser kauft man im Supermarkt. Aber in Australien geht es auch anders: In vielen Städten wird wegen dem speziell im Sommer heißen Klima kostenlos Trinkwasser im öffentlichen Raum angeboten.
Hauptsächlich in öffentlichen Parks und auf Plätzen finden sich Trinkwasser-Auffüll-Stationen. Die Standorte der Auffüll-Stationen fand ich nach einiger Recherche im Internet. Perfekt! Um mein Bedürfnis nach Trinkwasser zu erfüllen zeichnete ich also in einer Karte die Trinkwasser-Auffüll-Stationen in Adelaides Innenstadt ein.
Die Qualität schwankt zwar in den australischen Städten zwischen köstlich (“lovely”) und abartig (“bloody”), aber ich war voller Vertrauen, dass das City Council von Adelaide eine gute Qualität zur Verfügung stellte. Deswegen bezog ich die Trinkwasser-Stationen mit in meine Wohnortwahl-Analyse mit ein.
Wasser Marsch! Für alle und jeden.
Das Bedürfnis nach Essen
Als nächstes zeichnete ich in der Karte alle Supermärkte ein. Die teuren Supermärkte habe ich dabei außer Acht gelassen. Essen und Trinken ist in Australien schon so teuer genug.
Außerdem notierte ich den Standorte von Filialen der Pizza-Kette Dominos. Die Pizzen sind mit Abstand das günstigste Essen hier in Australien und somit die perfekte Anlaufstelle, wenn man mal wieder keine Lust darauf hat in der überfüllten, semi-appetitlichen Hostel-Küche zu kochen.
Auch die Filialen der Restaurantkette Hungry Jacks (vergleichbar mit Burger King) zeichnete ich in die Karte ein. Denn dort hat man täglich die Chance mit einer App kostenloses beziehungsweise vergünstigtes Essen abzustauben. — Just Backpacker Things! -
Da die Preise für Essen und Trinken wie gesagt in Australien recht hoch sind ist das eine willkommene Möglichkeit ab und zu etwas Geld zu sparen.
Auch weil es in meiner Persönlichkeit liegt genügsam und sparsam zu sein war die Nähe zu Dominos und Hungry Jacks wichtig für mich — Dachte ich zumindest zu diesem Zeitpunkt. Ich sollte mich getäuscht haben. Mehr dazu liest Du weiter unten im Text.
Das Bedürfnis nach beruflicher Sicherheit
Mit beruflicher Sicherheit ist ein Job gemeint. Also eine Betätigung die mir Geld einbringt. Da ich auf gut Glück nach Adelaide flog wusste ich noch nicht wo ich arbeiten würde. Da ich logischerweise kein Auto und kein Fahrrad im Flugzeug mitbrachte war mir klar, dass ich bei meiner Wohnortwahl in Adelaide auf eine gute fußläufige Nähe zu Straßenbahnen, Zügen und Bussen achten musste. Die Haltestellen von Straßenbahnen und Zügen zeichnete ich in die Karte ein. Auf Bushaltestellen verzichtete ich, da eine flächendeckend gute Anbindung der gesamten Innenstadt zu erwarten war.
Das Bedürfnis nach einem Dach überm Kopf
Als Unterkunft suchte ich wie immer auf meiner Australien-Reise die Backpacker-Hostels raus und fügte die Standorte in die Karte ein. Über Preise, Zustand und Ausstattung informierte ich mich erst später.
Das Bedürfnis nach einem Dach über dem Kopf.
Ich-Bedürfnisse
Zu den Ich-Bedürfnissen zähle ich vor allem Hobbies. Für mich war vor allem wichtig, dass ein Fußballplatz in der Nähe meines neuen Wohnortes war. In Australien stellt sich das durchaus schwierig dar, weil Fußball bei weitem nicht so populär ist wie in Deutschland. Aber mit ein wenig Recherche konnte ich einige Plätze finden und in die Karte einfügen.
Das Bedürfnis nach Selbstverwirklichung
Um meiner Kreativität freien Lauf lassen zu können und in Ruhe an meinem Herzensprojekt Feel Urban weiterzubasteln war außerdem die fußläufige Nähe zu einer Bibliothek wichtig für mich. Denn dort war mit einer guten Internetverbindung und entspannter Atmosphäre zu rechnen. Für mich ist es absolut wichtig Ruhe bei der Arbeit zu haben. Dafür bietet sich eine Bibliothek natürlich an. In einem vollen Backpacker-Hostel kann ich mich in der Regel kaum konzentrieren. By the way: Ein Hoch auf die australischen Bibliotheken! Der Service und die Ausstattung sind extrem gut.
Der Plan
Die Informationen für meine Wohnortsuche sammelte ich übrigens ebenfalls in einer Bibliothek — in Cairns. Die Recherche zahlte sich aus. Folgende Karte zeigt alle Informationen, die mir für meine neue “Heimat” Adelaide wichtig waren.
Der folgende Pfeil zeigt Dir wo du die Legende findest.
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Karte von Google MyMaps
Ich war vorbereitet
Ich hatte nun einen Plan — im wahrsten Sinne des Wortes. Ich wusste nun wo mein neuer Wohnort war. Für welches Hostel hatte ich mich wohl entschieden?
Zur selben Zeit im 2.118 Kilometer entfernten Adelaide…
… hatte ein englischer Backpacker — nennen wir ihn Matt — keine Lust mehr auf seinen Job und teilte seinem libanesischen Chef mit, dass er nur noch bis kommende Woche arbeiten wollte, um dann weiterzureisen. Diese Begebenheit dürfte später noch von Bedeutung sein.
Lift Off
Ich verließ zum letzten Mal die Bibliothek in Cairns. Ich hatte einen Plan und keine Zeit zu verlieren. Denn mein eigentliches Problem — mein sich stetig leerendes Bankkonto — hatte sich noch nicht gelöst. Ich buchte mir für die kommende Woche einen günstigen Flug nach Adelaide, packte meine Sachen, schaltete im Internet eine Jobsuche-Anzeige für die Region Adelaide, organisierte meinen Flughafen-Shuttle, kehrte Cairns und dem tropischen Wetter den Rücken zu und stieg in den Flieger…
10 Kilometer über dem australischen Outback flogen die Wolken an mir vorbei und mit ihnen meine Gedanken.
Wird sich meine Recherche auszahlen?
Hatte ich mit Adelaide die richtige Entscheidung getroffen?
Hatte ich alle Faktoren berücksichtigt?
Was, wenn ich auch in Adelaide keinen Job fand..?
Zwischen den Welten
Bruchlandung oder einschlagender Erfolg?
Der Flieger landete sicher auf dem Flughafen von Adelaide und ich machte mich auf den Weg ins Stadtzentrum. Hier erfährst Du nun endlich wo mein neuer Wohnort war:
Karte von Google MyMaps
Aus meiner Zeit in Melbourne wusste ich, dass ich mich im stressigen Stadtzentrum einer Millionenstadt nicht wohlfühle. Deswegen habe ich darauf geachtet ein etwas ruhigeres Viertel zu wählen.
Der letzte Feinschliff
Da mir das Hostel an sich nicht wirklich gefiel wechselte ich nach zwei Nächten in ein anderes, kleines Hostel — direkt gegenüber auf der anderen Straßenseite. Das freute auch meinen Geldbeutel. In dem Wissen, dass ich die für mich ideale Umgebung gefunden hatte konnte ich mich ohne Sorgen in meiner neuen Unterkunft häuslich einrichten und mich voll und ganz auf die Jobsuche konzentrieren.
Geschafft!
So lag ich eines abends in meinem Hostel-Hochbett als plötzlich mein Handy klingelte. Ein Mann mit gebrochenem Englisch meldete sich. Er meinte dass er einen neuen Arbeiter brauchte da sein jetziger Arbeiter — ein Engländer — weiterreisen wollte. Am Ende des Telefonats hatte ich zwar nur die Hälfte verstanden aber trotzdem einen Job bekommen. Genial! Wieder Baustellen-Arbeit. Zäune und Eingangstore installieren. Mein Chef war der oben erwähnte Libanese und mein Bauchgefühl nach Adelaide zu fliegen hatte mich nicht enttäuscht. Es kamen gute Zeiten auf mich zu.
Mein Bankkonto füllte sich ab diesem Zeitpunkt wieder.
Eine in der Nähe meiner Unterkunft liegende Bushaltestelle ermöglichte mir das unkomplizierte Erreichen meiner Arbeitsstelle.
Und auch die Idee die Trinkwasser-Auffüllstationen mit in meine Wohnortwahl einzubeziehen stellte sich als optimal heraus. Als ich in Adelaide ankam stellte ich übrigens fest, dass die Qualität durchgehend hervorragend war. Auf diese Weise konnte ich ganz bequem circa 10 $ (~7 €) pro Woche sparen und gleichzeitig meinen Verbrauch von umweltschädlichen Plastik-Wasserflaschen extrem reduzieren. Eine Win-Win-Situation für die Stadt Adelaide, die Umwelt und mich.
Nach einigen Wochen Arbeit in Adelaide schenkte mir mein Chef sogar ein Fahrrad. Somit war ich noch flexibler und konnte die für mich wichtigen Orte noch schneller erreichen.
Natürlich weiß ich nicht, wie es mir ergangen wäre, wenn ich nach Perth geflogen wäre. Ich denke es ist vermessen darüber nachzudenken. Perfektionismus sollte auch seine Grenzen haben. Außerdem ist das “Gras auf der anderen Seite des Zaunes immer grüner” — wie mein Bruder zu pflegen sagt. Ein kluger Mensch, mein Bruder.
Mein Ziel war ursprünglich viel Geld zu verdienen, um ein Auto zu kaufen. Das Wetter machte mir aber einen Strich durch die Rechnung. Der Winter brachte viel Regen mit sich. Und bei Regen läuft auf der Baustelle gar nichts. Dafür sind dem Australier (und auch dem Libanesen) seine teuer zusammengekauften Werkzeuge zu heilig.
Trotzdem war ich sehr zufrieden. Denn wie heißt es so schön:
“Oft bekommt man im Leben nicht immer das was man will, aber das was man braucht.”
Schließlich war das Klima in Adelaide nicht zu heiß zum arbeiten. Und das war ja mein Ziel gewesen, als ich Cairns verließ. Das Gute an den Regentagen war übrigens: Ich hatte viel Zeit hier an Feel Urban weiter zu arbeiten. Die Bibliothek in meiner Nähe konnte ich in wenigen Minuten mit dem Fahrrad erreichen. Und das war mir im Endeffekt sehr wichtig. Man könnte auch sagen: Das Schicksal meinte es gut mit mir.
Positiver Einfluss
Da ich mich in einer idealen Umgebung befand konnte ich nun aus dem Vollen schöpfen. Dadurch, dass ich ein ordentliches Einkommen erzielte hatte ich mehr Kapazitäten. Einige Wochen nachdem ich in Adelaide angekommen war fing ich an mich bewusst und gesund zu ernähren. Plötzlich war für mich die Nähe zu Fast Food Filialen wie Dominos und Hungry Jacks ab diesem Punkt nicht mehr wichtig. Meine durch die Umgebung hohe Lebensqualität hatte also einen so guten Einfluss auf mich, dass ich meine Gesundheit verbessern konnte.
Gesund lebt es sich besser.
Wertvolle Erkenntnis
Man könnte auch sagen: Dadurch, dass ich meine ideale Umgebung gefunden hatte wurde ich zu einem besseren, bewussteren Menschen. Perfekt! Glücklicherweise war in der Nähe meines Hostels ein großer Wochenmarkt, sodass mein neu entstandenes Bedürfnis nach gesunder Nahrung optimal erfüllt werden konnte. Mein Magen bekam nun durch und durch gesunde Ernährung und mein Verstand bekam eine wichtige Erkenntnis:
Bei meinem nächsten Wohnortwechsel wird die Nähe zu einem Wochenmarkt mit auf meiner Liste stehen. Und mein nächster Wohnort wird auch nicht in den Tropen sein.