Warum es in Städten mehr Streetart geben sollte

The crea­tive adult is the child who has survived.” Ursula K. Le Guin

Kunst ist Kulturgut. Das würde jeder so unter­schreiben. Im öffent­li­chen Raum einer Stadt wird es aber schnell zum Poli­tikum wenn Farbe und Form seinen Weg auf die Fassaden findet. Meis­tens handelt es sich um unschöne Schmie­re­reien. Wir spre­chen von Graf­fiti. Natür­lich liegt es im Auge des Betrach­ters was schön und was unschön ist. Wenn die Mehr­zahl der Betrachter aber nicht sehr angetan ist von dem Graf­fiti kann man sich sicher sein, dass es keinen hohen künst­le­ri­schen Wert hat.

Dass die Gemeinden versu­chen Graf­fiti aus dem öffent­li­chen Raum zu entfernen kann man also durchaus verstehen. Aber wie verhält es sich mit Streetart? Wenn das Gemalte von so guter Qualität ist, dass es den meisten Betrach­tern eine Freude ist, dann sollte das doch wünschens­wert sein? In Melbourne, Austra­lien hatte ich Gele­gen­heit mich näher mit dem Phänomen Streetart zu beschäf­tigen. Meine Erkennt­nisse habe ich hier zusammengefasst.

 

Das Beispiel Melbourne

Melbourne ist ein gutes Beispiel von gelun­gener Inte­gra­tion von Streetart im öffent­li­chen Raum. In einigen kleinen Gassen mitten im Central Busi­ness District (CBD) geben sich die Künstler die Klinke in die Hand. Auch oder besser gesagt vor allem in den Außen­be­zirken findet man massen­weise kunst­volle Graf­fitis und Streetart.

Da die Gassen im CBD häufig Sack­gassen sind, sind dort nicht viele Menschen anzu­treffen. Ideal für die scheuen Künstler. Sie suchen nicht die große Bühne. Sie kommu­ni­zieren durch ihre Kunst­ob­jekte. Sie wollen nicht herum­schmieren, sondern ihre Gedanken und Gefühle zum Ausdruck bringen. Häufig findet man poli­ti­sche oder gesell­schafts­kri­ti­sche Themen in der Kunst.

Offi­ziell ist das Sprayen verboten und an vielen Ecken hängen Über­wa­chungs­ka­meras. Aber keiner stört sich wirk­lich an den Graf­fitis und Kunst­ob­jekten. Im Gegen­teil: In Touris­mus­kreisen werden sogar Graf­fiti-Touren ange­boten. Viel inter­es­santer ist es aber auf eigene Faust die versteckten Ecken zu erkunden. Am meisten Spaß macht es, wenn man unge­plant auf eine der vielen Kunst­gassen stößt. Zuge­geben kommt das nicht allzu oft vor, aber wenn dann fühlt sich das an wie Weih­nachten. Jeder Mensch mag Über­ra­schungen. Und sich als Kunst­be­geis­terter plötz­lich in einer von Streetart über­säten kleinen Gasse wieder­zu­finden ist in der Tat eine tolle Überraschung.

Die Stadt­ver­wal­tung schmückt sich nicht so wirk­lich mit der Streetart, aber insge­heim ist man stolz auf die liebe­voll verzierten Gassen. Man hält sich aber vornehm zurück – vermut­lich um zu verhin­dern, dass Graf­fiti verherr­licht wird. Auf dem Blog der Stadt Melbourne findet man immerhin etwas versteckt eine Karte mit den Streetart-Hotspots

Streetart als Jugendkultur

Auf der offi­zi­ellen Home­page der Stadt gibt man sich zurück­hal­tender. So findet man beispiels­weise mehrere soge­nannte „Walks“. Dabei handelt es sich um vorge­schla­gene Routen auf denen man die Sehens­wür­dig­keiten der Stadt erkunden kann. Eine offi­zi­elle Streetart-Route von der Stadt Melbourne gibt es aber nicht. Ledig­lich die Hosier Lane – Melbourne bekann­teste Streetart-Gasse wird in einer Route erwähnt. In der Hosier Lane findet man auch ein Gebäude in dem ein Jugend­club etabliert wurde, in dem Streetart geför­dert wird. Streetart kommt also der Jugend zugute und verhin­dert, dass diese auf dumme Gedanken kommen.

Außerdem werden immerhin gezielt geeig­nete Fassaden in der Stadt an Künstler ange­boten. Inwie­weit die frei­heit­lie­benden und indi­vi­dua­lis­ti­schen Streetart-Artists die offi­zi­ellen Ange­bote annehmen bleibt frag­lich. Büro­kratie und Streetart sind nicht gerade beste Freunde so scheint es. Man kennt sich. Mehr aber auch nicht. Trotzdem bewirken die Künstler indi­rekt, dass die unschönen Schmie­re­reien weniger werden. Je schöner und krea­tiver die Kunst nämlich ist desto mehr werden andere Künstler inspi­riert und die Qualität steigt.

 

Streetart als Sehenswürdigkeit

Da nur begrenzt bemal­barer Raum zur Verfü­gung steht werden die weniger kunst­vollen Objekte auch schnell wieder von anderer Kunst über­malt. Das macht letzt­end­lich den Reiz von Streetart aus. Sie ist vergäng­lich. Und sie wird nicht zur plan­baren Sehens­wür­dig­keit. Streetart lässt sich nicht einfangen. Sie lässt sich kaum vermarkten. Ein Gebäude oder andere gebaute Sehens­wür­dig­keit besteht lange Zeit und lässt sich in Reise­füh­rern anpreisen. Streetart hingegen ist sprung­haft und immer in Verän­de­rung. Deswegen ist sie so inter­es­sant. Außerdem wäre es auch fatal, wenn Streetart bere­chenbar wäre. Denn dann wäre das Risiko zu groß, dass Streetart gezielt genutzt würde, um Stadt­viertel aufzu­werten und somit Gentri­fi­zie­rung zu begünstigen.

Sicher­lich entwi­ckeln sich über die Zeit Hotspots. Aber man weiß nie, welche neuen Kunst­werke einen erwarten, wenn man nach einiger Zeit wieder an eine bestimmte Stelle kommt. Je höher die Qualität der Streetart-Objekte ist desto lächer­li­cher werden sich die spät­pu­ber­tären Graf­fiti-Sprayer fühlen, wenn sie mal wieder illegal zur Spray­dose greifen, um ihr Revier zu markieren. Leider kommt es aber auch mal vor, dass selbst ein Banksy plötz­lich verschwindet. 2008 zerstörten Chaoten den “Little Diver”, den der briti­sche Streetart-Künstler Banksy 2003 in einer Gasse erschaffen hatte. Eine Nach­bil­dung erin­nert heute an das Kunstwerk.

Streetart und Lebensqualität

Sicher­lich kann man Graf­fiti nie ganz verhin­dern, aber man kann es schnell wieder entfernen, sodass nicht noch mehr Sprayer animiert werden. Die Theorie des zerbro­chenen Fens­ters lehrt uns, dass bestehendes Graf­fiti die Entste­hung von noch mehr Graf­fiti bewirkt. Auch wenn Streetart zum Teil illegal zu Stande kommt hebt sie die Lebens­qua­lität in einer Stadt. Das mögen die Poli­tiker und Stadt­planer einer Stadt sicher­lich nicht gerne hören.

Stadt­planer achten auf die großen Struk­turen. Sie planen die Verkehrs­wege und Bauflä­chen. Die Archi­tekten verfei­nern die Planung und entwi­ckeln einzelne Gebäude. Aber die kleinen, infor­mellen Details kann man nicht planen. Hundert­pro­zentig jedes Detail im öffent­li­chen Raum durch­zu­planen ist nicht möglich. Es wird immer unkal­ku­lier­bare Faktoren geben.

Eine kleine Spitz­maus stellt keinen Antrag bevor sie über den Bürger­steig rennt. Laub­blätter schi­cken keine Rund­mail bevor sie in Scharen auf dem Boden landen. Und ein Streetart-Künstler fragt nicht, ob er nachts um 2 Uhr an die gerade frisch verputzte weiße Wand malen darf. Es passiert einfach. Und gerade diese kleinen Gescheh­nisse machen das Leben und Entde­cken in einer Stadt so inter­es­sant. Wenn alles schnur­ge­rade, piek­fein und geplant wäre, dann wäre kein Leben in der Stadt. Städte leben von ihrer Leben­dig­keit. Und Menschen wollen sich ausdrü­cken und ihre Gedanken loswerden.

Fazit

Ob das als gespro­chenes Wort im Parla­ment, in Wort und Schrift in einem Blog wie diesem oder als Farb­strich aus einer Spray­dose ist – jeder Mensch möchte anderen Menschen mitteilen was ihm wichtig ist. Das ist nur mensch­lich. Die Art und Weise hängt ganz nach der jewei­ligen Persön­lich­keit ab. Der eine schwingt Reden, der andere bloggt und der nächste sprüht mit Farbe.

Für mich wäre es nichts im Parla­ment große Reden zu schwingen. Meine Stärke ist eher mich schrift­lich zum Beispiel hier in einem Blog zu Wort zu melden. Die Frage, ob ich mich mit einer Spray­dose an einer Haus­wand verewigen würde möchte ich an dieser Stelle nicht beant­worten. Es ist 3 Uhr in der Nacht. Viel­leicht gehen mir hier auch einfach die Worte aus – so wie einem Streetart-Künstler mögli­cher­weise um 3 Uhr nachts die Farbe ausgeht.

Nun zu Dir: Wie denkst Du über Streetart? Welche Meinung hast Du zu Graf­fiti?

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