“Weit weg bist du oft verdammt nah an dir selbst” — Unbekannt
Während meiner Australien-Reise besuchte ich selbstverständlich auch Melbourne. Immerhin wurde Die 4‑Millionen-Einwohner-Stadt 2016 im Global Liveability Ranking zum fünften Mal in Folge zur lebenswertesten Stadt der Welt gekrönt. Natürlich ist so eine Auszeichnung immer mit Vorsicht zu genießen. Denn es ist Definitionssache was man als “lebenswert” bezeichnet.
Das Global Liveability Ranking berücksichtigt das Gesundheitswesen, Kultur & Umwelt, die Beständigkeit, Bildung und Infrastruktur. Wie dem auch sei: Ich finde persönlich, dass Melbourne den Titel “lebenswerteste Stadt” nur bedingt verdient hat.
Allen kritischen Denkens zu trotz hat mir die Stadt sehr gut gefallen. Sehr, sehr gut sogar. Letztendlich habe ich dort mehrere Monate verbracht. Doch zwischendurch habe ich einen Fehler gemacht den ich schnell bereut habe. Aber der Reihe nach:
Eine Chance, die man nur einmal bekommt
Nachdem ich einige Wochen mit meinem Bruder in einem Hostel südlich der Innenstadt gewohnt hatte bekam ich die Möglichkeit mitten im Central Business District (also in der Innenstadt) Melbournes für 10 Tage in ein Hochhaus zu ziehen. In einem Apartment des Hochhauses wurde ein Bett frei. Der Bewohner, ein Freund von meinem Bruder wollte für 10 Tage verreisen und suchte für diese Zeit einen Zwischenmieter. Soweit so gut.
Die Tatsache, dass das Apartment im 25. Stock war und eine herrliche Aussicht über die Innenstadt und den Süden der Stadt (sogar mit etwas Meerblick) versprach machte für mich den Ausschlag. Die Gelegenheit wollte ich mir nicht nehmen lassen. Ich sagte zu und zog wenige Tage später mit meinen sieben Sachen in das Apartment ein. Die Aussicht war in der Tat grandios. Und die Lage des Hochhauses war 1A. Aber leider nicht für mich.
Blick aus dem Apartment
Die Umgebung ist alles
Was war das Problem? Die neue Umgebung passte nicht zu meiner Persönlichkeit. Es war viel zu hektisch. Sobald ich das Hochhaus durch die Eingangstür verließ stand ich mitten in einer der geschäftigsten Einkaufsstraßen der Stadt — Die Elisabeth Street. Die Bürgersteige waren stets voll von Menschen, die Straßen voll von Autos und dazwischen bimmelten noch Melbournes berühmt berüchtigte Straßenbahnen.
Das war zu viel für meine Sinne und schon nach wenigen Tagen fühlte ich mich ausgelaugt. Selbst wenn ich einige Straßen weiterspazierte war keine Entspannung in Sicht. Die Innenstadt Melbournes ist nun mal sehr groß. Der nächste Park war circa 15 Minuten zu Fuß entfernt, doch um dahin zu kommen musste man sich durch die Menschenmengen drängen und schier endlose Fußgängerampeln passieren. Nicht gerade entspannend. Von “Naherholung” kann man in diesem Fall nicht sprechen.
Hinzu kam, dass ich mir mein Zimmer mit einem Italiener teilen musste, der zwar nett war aber auch gerne mal diskutierte und zur Diva wurde. So hatte ich sowohl außerhalb als auch innerhalb der Wohnung kaum wirklich Zeit für mich. Und das ist für einen ruhigen, reflektierenden Menschen wie mich, der regelmäßig Allein-Zeit braucht, um die Batterie wieder aufzuladen äußerst energiezehrend.
Dafür lernte ich den genauen Unterschied zwischen Nudeln, Pasta und Spaghetti und dass die zu dem Zeitpunkt noch laufende Saison des AC Mailands ein ziemliches Fiasko war. Neben dem Italiener wohnten auch noch 4 weitere Personen in dem Apartment: Zwei Brasilianer, ein Indonesier und ein Malaysier.
Zum Einkaufen hatte ich die Wahl zwischen teuren kleinen Supermärkten oder einem günstigen aber dafür riesigen Supermarkt. Der befand sich allerdings im Hauptbahnhof, in dem sich gefühlt immer die halbe Menschheit aufhielt. Die meisten Tage ernährte ich mich schlussendlich von günstigem Fast Food, da ich zum aufwendigen Kochen keine Energie und Lust mehr hatte. Letztendlich wirkte sich die Umgebung also auch auf meine Essgewohnheiten und somit auf meine Gesundheit aus.
Im Gebäude des Hauptbahnhofs
Der Lichtblick
Um mich aus der Hektik zu befreien musste ich nach einem entspannten Ort suchen. Der einzige ruhige Ort den ich in der Nähe finden konnte war eine Bibliothek — Die State Library of Victoria. Zwar waren hier auch viele Leute unterwegs aber alles lief gesitteter und entspannter ab. Problem gelöst! In der State Library habe ich übrigens auch angefangen diesen Blog zu entwerfen. Ein würdiger Ort! So habe ich aus einer weniger guten Zeit mitten in Melbourne doch noch das beste gemacht, denke ich.
Nach den 10 Tagen war ich jedenfalls froh wieder in das Hostel südlich der Innenstadt ziehen zu können. Und das Central Business District von Melbourne habe ich in den nächsten Wochen nach Möglichkeit gemieden.
State Library of Victoria: Der “Geburtsort” von Feel Urban
Großstadt ist nicht gleich Großstadt
Insgesamt gesehen habe ich die Innenstadt von Melbourne als sehr stressig empfunden. Das selbe konnte mir auch ein deutscher Student aus Brisbane bestätigen, der Melbourne für ein paar Tage besuchte.
“Hier ist alles viel hektischer als in Brisbane. Jeder läuft schnell durch die Gegend und dann läuft man selbst auch automatisch schneller.”
Das muss schon was heißen. Denn Brisbane ist mit seinen 2,3 Millionen Einwohnern auch alles andere als eine Kleinstadt. Brisbane ist in der Tat deutlich entspannter. Vermutlich liegt das daran, dass es die Bewohner aufgrund der hohen Temperaturen eher langsam angehen lassen. Das Klima in Melbourne ist eher gemäßigt. Deshalb bleibt genug Kapazität sich kräftig abzuhetzen. Lediglich Sydney ist mir noch stressiger als Melbournes Innenstadt in Erinnerung.
Einige Wochen nach meinem Intermezzo im Hochhaus in Melbourne zog es mich in eine andere australische Millionenstadt: Nach Adelaide. Auch hier wohnte ich wieder zentral und konnte alle für mich wichtigen Orte innerhalb der Stadt bequem zu Fuß erreichen. Ich fühlte mich aber deutlich glücklicher als in meiner Zeit mitten im Stadtzentrum Melbournes. Was war der Grund?
Ganz simpel: Der Grund war, dass mein Wohnort in einer ruhigen Nachbarschaft lag. Keine stressige Hauptgeschäftsstraße wie in Melbourne. Wenig Verkehr. Keine vollgestopften Straßenbahnen in unmittelbarer Nähe. Natürlich gibt es es auch in Adelaide stressige Einkaufszentren und menschenüberfüllte Fußgängerzonen. Aber da musste ich nicht einkaufen, denn in meiner Nähe gab es andere Einkaufsmöglichkeiten.
Übrigens: Adelaide landete in dem oben erwähnten Global Liveability Ranking auf Platz 5.
Und die Moral von der Geschicht’?
Nur weil eine Stadt aus objektiver Sicht besser oder sogar am besten zu sein scheint heißt das nicht, dass das auch aus subjektiver Sicht zur Dir passen muss. Jeder Mensch hat seine Vorlieben, Eigenheiten, Wünsche und Persönlichkeitszüge. Für jeden Menschen bedeutet Lebensqualität etwas anderes. Für mich war es jedenfalls keine Option dauerhaft in der Innenstadt von Melbourne zu leben. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass die Stadt zur lebenswertesten Stadt der Welt gewählt wurde. Südlich der Melbourner Innenstadt und in Adelaide habe ich mich hingegen sehr wohl gefühlt. Dort ist die Hektik noch nicht eingekehrt.
Wie geht es dir? In welcher Stadt oder welchem Stadtteil fühlst Du dich so richtig wohl? Oder in welcher Stadt oder welchem Stadtteil kannst Du es überhaupt nicht aushalten? Und was glaubst Du sind die Gründe dafür?