Obwohl Radfahren sozial und ökologisch verträglich ist und Rad fahrende Menschen somit gut für die Zukunft gerüstet sind, wird Radverkehr weltweit und auch auch in Deutschland oft nur stiefmütterlich gefördert. Als kürzlich völlig zu Recht der Vorschlag geäußert wurde, dass die Straßenverkehrsordnung zu Gunsten der Radfahrenden angepasst werden müsste stellte sich die CDU dagegen und wählte eine sehr fragliche Argumentation: Sie polarisierte indem sie vor “Radrowdys” warnte.
Klar, wer kennt sie nicht — die Radrowdys, die mit ihrem Fixie im Halbdunkeln hinter der Haustür lauern, bis der erste Radweg der Stadt eröffnet wird, nur um dann ihr verheerendes Unheil zu verbreiten?
Spaß beiseite. Es verwundert nicht, dass das Kleinreden der Radfahrenden in einem Autofahrerland — wie es Deutschland nun mal ist — auf reichlich Beifall stieß. Schließlich ist es sehr simpel eine Minderheit in die Ecke zu stellen und sie mit negativen Assoziationen ins Hintertreffen zu bringen. Auch damit kennt man sich in Deutschland bestens aus.
Hier mal ein Beispiel für den Hass gegenüber Menschen, die Rad fahren.
Natürlich gibt es unter den Radfahrerinnen und Radfahrern einzelne Menschen, die sich daneben benehmen — genau so, wie es Autofahrerinnen und Autofahrer gibt, die sich nicht an die Regeln halten. Aber muss man deswegen eine ganze Gruppe diskriminieren? Noch dazu eine Gruppe, die Teil der Lösung ist, wenn es darum geht das Klima zu schützen?
Wenn man sich mal rein logisch vor Augen führt, wie viele Vorteile Radfahren gegenüber Autofahren hat, dann wundert es doch sehr, wie wenig Lobby Radfahren in der westlichen Welt hat. Warum werden Radfahrende Menschen so negativ wahrgenommen? Dieser Frage ist ein australisches Forscherteam nachgegangen und hat nun erstmals erstaunliche Ergebnisse zu dem Thema veröffentlicht.
Eine Pilotstudie über Dehumanisierung von Radfahrenden
Die Studie der Monash University in Melbourne kommt zu dem Schluss dass Autofahrerinnen und Autofahrer Radfahrende als dehumanisiert — also als nicht gleichwertig — beurteilen.
Dazu wurden 442 Menschen befragt, wie ihre Einstellungen gegenüber Radfahrenden sind und ob sie selber Rad fahren oder nicht. Zudem wurden Bilder (wie z.B folgendes) gezeigt anhand deren die Befragten ihre Einstellungen gegenüber Radfahrenden vergleichen sollten.
Mehr als die Hälfte der Befragten bewerteten Radfahrende als weniger menschlich (dehumanisiert). Außerdem kam heraus, dass Aggressionen gegenüber Radfahrenden nicht selten sind. 17 Prozent gaben an, dass sie mit ihrem Auto schon mal Radfahrende absichtlich blockiert hätten. 11 Prozent gaben zu schon mal absichtlich Radfahrenden zu nahe gekommen zu sein. Und 9 Prozent berichteten schon mal Radfahrende geschnitten zu haben.
Das Konzept der Dehumanisierung ist vor allem aus Untersuchungen zu Einstellungen gegenüber ethnischen Gruppen bekannt. Beispielsweise war Dehumanisierung im Holocaust und in den Balkankriegen ein bekanntes Mittel, um Menschen wie “Ungeziefer” zu behandeln.
Die Forschergruppe aus Melbourne stellt klar:
“Wenn Sie glauben, dass jemand nicht vollkommen menschlich ist, ist es einfacher, Hass oder Aggressionen gegen ihn zu rechtfertigen. Dies kann einen eskalierenden Kreislauf der Abneigung aufbauen.” —
Narelle Haworth et al
Ich finde die Ergebnisse der Studie durchaus bedenklich, denn wenn ich darüber nachdenke, dann spiegeln sich die Ergebnisse auch im Internet wieder. Geb einfach mal bei Google ein: “Radfahrer sind…”. Da kommen dann sofort unschöne Artikel wie…
“Radfahrer sind die Plage unserer Zeit.”
Oder
“Radfahrer sind gefährliche Autisten.”
Unfassbar. Und auch in der Literatur finden sich Spuren:
„Die Juden sind an allem Schuld, meinte einer. Und die Radfahrer… sagte ich. Wieso denn die Radfahrer?, antwortete er verdutzt. Wieso die Juden?, fragte ich zurück.“ —
Verfasser unbekannt, möglicherweise von Kurt Tucholsky
Wie lässt sich der Kreislauf der Abneigung durchbrechen?
Um den Kreislauf der Abneigung gegenüber Radfahrenden abzubauen schlägt die Forschergruppe als ersten Schritt vor, den Radfahrenden ein Gesicht zu geben. Das kann zum Beispiel über einen angepassten Gebrauch der Sprache erfolgen. Statt Radfahrer/Radfahrerinnen zu sagen sollte man “Menschen, die Rad fahren” sagen.
“Lasst uns von Menschen reden, die Rad fahren anstatt von Radfahrern, denn das ist der erste Schritt um sich von der Dehumaniserung zu lösen.” - Narelle Haworth et al
Diese Idee gibt es auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen. In der Psychologie gibt es beispielsweise die Vorgabe, nicht mehr von “Depressiven” zu reden, sondern von “Menschen mit Depressionen”. Das löst die Eigenschaft bzw den Zustand von der Person und macht deutlich, dass es nur ein vorübergehender Zustand ist. Das macht auch sehr viel Sinn. Denn wir sagen ja zum Beispiel auch “Tom hat Grippe.” Anstatt “Tom ist Gripper.” Ein Mensch, der gerade zeitweise in einem wenig wünschenswerten Zustand ist. Aber eben nicht dauerhaft. Er IST kein Gripper.
Also: In der CDU würde auch niemand von Grippern reden. Warum reden sie dann von Radrowdys? Und überhaupt: Warum wollen sie Menschen, die Rad fahren und somit Teil der Lösung vieler heutiger Probleme sind nicht unterstützen? I don’t get it.
Die Forscher der Studie betonen auch, dass weitere Forschung bezüglich der Einstellungen gegenüber Menschen, die Rad fahren notwendig ist. Es scheint noch ein längerer Weg zu sein, bis Rad fahren endlich die Aufmerksamkeit und den Status in der Gesellschaft bekommt den es verdient.
Quellen:
Chester, R. (2019): Face off – Cyclists not human enough for drivers: study. <
https://www.qut.edu.au/news?id=141968 > (Stand: 27.03.2019) (Zugriff: 25.04.2019)
Haworth, N. et al (2019): Dehumanization of cyclists predicts self-reported aggressive behaviour toward them: A pilot study. In:
S. Charlton (Hrsg.): Transportation Research Part F: Traffic Psychology and Behaviour. 681–689.
Hogrefe (2012): Dorsch Lexikon der Psychologie: Dehumanisierung
<https://portal.hogrefe.com/dorsch/dehumanisierung/ > (Zugriff: 25.04.2019)