[Über­set­zung] “Ein Brief an eine Akti­vistin” von Tooker Gomberg

Jede/r der/die sich für Klima­schutz einsetzt weiß vermut­lich, wie anstren­gend es bei Zeiten sein kann zuver­sicht­lich zu bleiben. Manchmal fehlt einfach die Kraft weiter zu machen. Und damit ist man nicht allein. Erschöp­fung an der Front des gesell­schaft­li­chen Wandels ist seit jeher ein Thema. Den unten stehenden Brief schrieb beispiels­weise der kana­di­sche Umwelt­ak­ti­vist Tooker Gomberg am Earth Day 2002. Zu dieser Zeit litt er an Depres­sionen. Sein ganzes Leben hatte er sich für eine bessere Welt einge­setzt und im Jahr 2001 brannte er aus. Sein Brief enthält wert­volle Hinweise für Akti­vis­tinnen & Akti­visten — um nach­haltig aktiv bleiben zu können. Wir haben ihn für euch übersetzt:

Liebe Akti­vistin:

Es ist ein weiterer selt­samer Tag für mich. Die Dinge sind seit mindes­tens 8 Monaten seltsam. Früher war ich Akti­vist. Jetzt weiß ich nicht was ich bin. Hast du jemals die Kafka-Geschichte über den Mann gelesen, der aufwacht und sich in eine Kaker­lake verwan­delt hat? 

Meine Gedanken sind verne­belt — ich kann nicht sehr klar denken. Das Zube­reiten eines Sand­wichs dauert lange — ich muss mich auf jeden Schritt konzen­trieren und ich bewege mich sehr langsam und bewusst. Ich fühle mich benommen und high die meiste Zeit. Heute ist Tag der Erde, aber ich fühle mich als sei ich auf einem anderen Planeten. 

Ich habe viel Zeit im Bett verbracht, haupt­säch­lich geschlafen, gedöst und geträumt. 

Es fühlt sich an, als wäre mein Verstand zusam­men­ge­schmolzen, obwohl mir gesagt wird, dass er zurück­kommt, sobald die Depres­sion nach­lässt. Wann immer das ist. Für manche Menschen scheinen es Monate zu sein, für andere Jahre, und andere kommen nie heraus. 

Aber ich schreibe dir über Akti­vismus, nicht über die beängs­ti­genden Auswir­kungen von Depressionen. 

Amory Lovins, der große Ener­gie­ef­fi­zienz-Guru, nannte mich einmal einen Hyper-Akti­visten. Ich denke, das traf auf mich zu. Ich lebte, atmete und konzen­trierte mich auf Akti­vismus. Es gab mir zu denken und hielt mich inspi­riert, inter­es­siert und am Leben. 

Aber es erlaubte mir auch, andere Dinge im Leben zu igno­rieren, die ich wie mir jetzt plötz­lich klar wird, nie entwi­ckelt habe. Das macht mich traurig und verzweifelt. 

Früher habe ich gerne gekocht, aber ich habe damit aufge­hört. Ich mochte Kinder immer, dachte aber nie wirk­lich daran, eigene Kinder zu haben. Es war wich­tiger, die Welt zu verän­dern, und ein Kind zu haben, würde unser Lebens­werk, die Welt zu verän­dern, beeinträchtigen. 

Ich habe meinen Verstand nicht weit entwi­ckelt und zum Beispiel etwas über Musik und Kunst sowie Theater und Poesie gelernt. Er war darauf ausge­richtet, die Welt zu verän­dern. Ich habe nie wirk­lich über eine Karriere nach­ge­dacht — ich habe mein Leben gelebt und mich nicht um die Status­sym­bole und Zeug­nisse der lang­wei­ligen Status-Quo-Welt gekümmert.

Viel­leicht lebte ich in einer Blase der Naivität und machte mein eigenes Ding, ohne mich darum zu kümmern, dass meine Perspek­tiven und Hand­lungen so anders waren als „normal“. Ich wollte sowieso nie normal sein. Normal hat uns in das Chaos gebracht, in dem wir uns befinden. 

Nun komme ich wieder zu mir, zersplit­tert, nachdem ich von der Polizei in Quebec City, einem Wach­mann im Rathaus und verschie­denen anderen Sicher­heits­leuten während des Rennens um das Bürger­meis­teramt ange­griffen worden war. Und nach zahl­rei­chen Verhaftungen. 

Oder viel­leicht war es das Tränengas und der Smog des letzten Sommers. Viel­leicht habe ich mein Gehirn zu stark gefor­dert und es mit dem Rennen auf das Bürger­meis­teramt von Toronto oder dem bren­nenden Pass oder 20 Jahren Vorgehen gegen die Regie­rungs­ma­schi­nerie über­stra­pa­ziert. Und viel­leicht hat der 11. September meine Sorgen zu einer echten Angst gemacht, dass es wirk­lich gefähr­lich ist, für Verän­de­rungen einzustehen. 

Oder es könnte eine physio­lo­gi­sche Reak­tion auf zu viel Kaffee, Stress und Smog sein. Viel­leicht habe ich meine Neben­nieren zerstört. Viel­leicht ist mein Gehirn vergiftet, weil ich so viel über tragi­sche ökolo­gi­sche Probleme nach­ge­dacht habe, über schlechte Luft nach­ge­dacht habe und frus­triert bin über die lang­same Verbes­se­rung und die rasche Zerstö­rung der lebenden Welt. Könnte mein Gehirn geschä­digt worden sein, als ich 1998 in Vietnam kurz vor dem Tod durch Hitz­schlag stand? 

Ich hätte eine tieferes Verhältnis mit meiner Familie und mit Menschen entwi­ckeln sollen. Versteh mich nicht falsch — ich hatte viele Freunde und Bekannte in der Akti­vis­ten­welt. Aber sie waren keine tiefen Freunde des Herzens. Ich habe mein Herz vernach­läs­sigt und was ich über Dinge, über Menschen, über Situa­tionen fühlte. Jetzt, wo ich in der Krise bin, habe ich nicht wirk­lich die Worte, um mit Menschen in Kontakt zu treten. Die Stille ist einfa­cher, als versu­chen zu erklären, was ich gerade durch­mache, oder auf die Ange­le­gen­heiten oder Probleme anderer einzugehen.

Welchen Rat kann ich also geben? Bleibe geerdet. Bring den Akti­vismus voran, aber über­treibe es nicht. Wenn du ausbrennst oder in Depres­sionen verfällst, ist das für niemanden gut, beson­ders für dich selbst. Wenn du dich in diesem Zustand befin­dest, scheint nichts erstre­bens­wert und es gibt nichts, worauf du dich freuen kannst. 

Es ist ehren­haft, daran zu arbeiten, die Welt zu verän­dern, aber mach es im Gleich­ge­wicht mit anderen Dingen. Entdecke und begrüße die Dinge, die du gerne tust, und du wirst voller Energie und begeis­tert von dem Akti­vismus sein. Vernach­läs­sige deine Hobbys und Freuden nicht. Achte darauf, wandern zu gehen, zu tanzen und zu singen. Es ist von grund­le­gender Bedeu­tung, deinen Geist lebendig und gesund zu halten, wenn du weiter­ma­chen willst. 

Ich habe nie wirk­lich verstanden, was Burnout ist. Ich wusste, dass es aktive Menschen trifft, aber irgendwie dachte ich, ich wäre dagegen immun. Immerhin machte ich ab und zu Pausen und ging auf Reisen. Und meine ganze Arbeit habe ich in Part­ner­schaft mit Ange, der großen Liebe meines Lebens gemacht.

Aber am Ende, als der Burnout mich letzt­lich einholte, war es gewaltig und es muss die Anhäu­fung von Jahr­zehnten von Stress und Vermei­dung gewesen sein. Und jetzt befinde ich mich in einem dunklen und verwir­renden Laby­rinth und versuche, meinen Weg zurück zu geis­tiger Gesund­heit und Ruhe zu finden. 

Hüte dich. Nimm diese Warnung ernst. Wenn du anfängst, in das Loch der Depres­sion zu schlüpfen und fest­stellst, dass du die Begeis­te­rung verlierst und zutiefst enttäuscht bist, mach eine Pause und sprich mit einem Freund oder einer Freundin darüber. Igno­riere es nicht. Die Welt braucht alle besorgten Menschen, die sie bekommen kann. Wenn du es schaffst auf lange Sicht im Kampf zu bleiben, dann kannst du einen wirk­lich posi­tiven Beitrag leisten und den nächsten Sieg miter­leben!” — Tooker Gomberg


Quelle: Der Brief stammt von der Seite Greenspiration.org.

Tipp: Akti­vis­tinnen & Akti­visten, die sich für Klima­schutz einsetzen und nach profes­sio­neller Unter­stüt­zung suchen können sich übri­gens an die Psycho­lo­gists for Future wenden: beratung(ät)psychologistsforfuture.org


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